„Irgendwie bin ich überhaupt nicht in Weihnachtsstimmung in diesem Jahr“, sagte Walter und nahm dabei die Maske ab. Hier im Cafe, in dem er sich mit Peter getroffen hatte, konnte man ja die Maske wenigstens am Platz abnehmen. „Und diese Masken gehen mir auch langsam auf die Nerven“, fügte er hinzu. „Ja, aber sie dienen ja unserem Schutz“ antwortete Peter, „Genau wie die Impfungen. Es geht im Moment mit Corona nun mal nicht anders.“
„Ich sehe ja ein, dass es für die Gesundheit notwendig ist,“ meinte Walter, „aber dauernd neue Schreckensmeldungen zu Corona und immer neue Inzidenzen und Mutationen, wie soll man da in eine besinnliche und ruhige Weihnachtsstimmung kommen?“ „Vielleicht indem man Weihnachten richtig versteht?!“ gab Peter etwas fragend zurück. „Du willst also sagen ich verstehe nichts von Weihnachten?“ „Nein, nein, Walter, das habe ich nicht gesagt“, entgegnete Peter, „aber ich denke, wir haben Weihnachten so sehr verdreht, dass wir es nicht mehr richtig sehen.“ „Das verstehe ich nicht“, sagte Walter mit einem Blick, als wollte Peter ihm etwas über fliegende Kühe erzählen.
„Ich versuche mal zu erklären, was ich meine“, sagte Peter. „Wenn Du irgendjemanden zu Weihnachten befragst, dann bekommsst Du immer sowas, wie Ruhe, Frieden und Besinnlichkeit zur Antwort.“ „Ja, natürlich“, warf Walter ein. „Siehst Du“, fuhr Peter in seiner Erklärung fort, „und so natürlich ist das eben gar nicht. Die Weihnachtsgeschichte hat viel mehr mit unserer Corona-Zeit zu tun, als mit Ruhe und Frieden.“ „Bahnhof“, mehr kam von Walter nicht. Aber er wollte damit sagen, dass er gerade nur Bahnhof, also nix, verstand.
Peter holte tief Luft. „Weisst Du noch wie die Weihnachtsgeschichte anfängt?“ „Ja, ungefähr: Es begab sich aber zu der Zeit.. usw.“ antwortete Walter. „Ja genau. Gucken wir uns das mal genauer an.“ erklärte Peter seine Frage. „Es begab sich aber in jenen Tagen, dass vom Kaiser Augustus ein Befehl erging, dass der ganze Erdkreis sich einschätzen lassen sollte. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit einer politischen Entscheidung, die ganz sicher eine große Anzahl von Menschen überhaupt nicht verstanden hat.“ „Du meinst ungefähr so wie die Corona-Maßnahmen von vielen nicht verstanden werden?“, warf Walter ein und fuhr fort, “ Aber da hängt ja noch viel mehr dran. Die Bewegungsfreiheit wird uns eingeschränkt. Es hat für viele auch berufliche Konsequenzen, usw. Das ist doch gar nicht zu vergleichen.“
„Wirklich nicht?“ fragte Peter. „Weißt Du noch, welchen Beruf Joseph hatte?“ „Zimmermann, glaub ich“, antwortete Walter. „Genau. Und sicher kannst Du Dir vorstellen, was ein Zimmermann so an Aufgaben hatte. Zu der damaligen Zeit wurden die Zimmerleute nicht nach Stunden bezahlt, sondern danach, wann ihre Arbeit fertig war. Genau genommen waren sie alle Selbständige, die nach Erfolg bezahlt wurden. Bitte nicht vergessen, alle mussten in die Städte ihrer Vorfahren reisen, nur weil Kaiser Augustus sie zählen wollte. Wer hat wohl die Aufträge von Joseph erledigt, als der unterwegs war? Und wer hat ihn bezahlt in der Zeit? Kein Vergleich mit den beruflichen Einschränkungen heute?“
„Interessanter Aspekt“, überlegte Walter laut. „So habe ich das noch gar nicht gesehen. Wenn ich mir das heute vorstelle, was hätten wir an Demos auf den Strassen.“ „Demos, wenn es sie denn gab, wurden von römischen Soldaten ganz sicher niedergeknüppelt“ gab Peter zu bedenken. „Aber es sind ja noch ganz andere Aspekte zu berücksichtigen. Maria und Joseph hatten eine sehr lange Reise durch Wüstengebiet zu bewältigen. Intercity war irgendwie noch nicht. Das Transportmittel hieß Esel. Der war etwas langsamer. Da war die Reise sicher kein Vergnügen und ganz sicher nicht besonders besinnlich.“ grinste er. „Ja, das kann ich mir vorstellen“ grinste auch Walter.
„Und es geht ja noch weiter“ hörte Walter gepannt zu, was Peter erklärte. „Mal eben Verwandte besuchen war wohl nicht drin. Auch heute ist es nicht einfach Verwandte zu besuchen, weil in einigen Gebieten die Zahl der Besucher beschnitten ist. Nur, wir können sagen, wir bleiben dann einfach dieses Jahr zuhause. Joseph und Maria mussten reisen, ohne zu wissen ob sie eine Unterkunft bekommen. Und die Suche nach einer Unterkunft stellte sich, wie wir heute wissen, sehr schwierig dar. Gefunden haben sie einen Stall. Nicht besonders besinnlich, oder?“ Peter sah Walter fragend an.
„Irgendwie kannst Du einem das ganze Weihnachten vermiesen“, meinte Walter etwas resignierend. Peter lachte und fuhr fort: „Dabei habe ich doch noch gar nicht richtig angefangen.“ „Was kommt denn jetzt noch?“ fragte Walter fast erschrocken. „Denkst Du eine Geburt ohne Hebamme oder Doktor in einem mit Stroh, Heu, Ochse und Esel gefüllten Stall ist ruhig und besinnlich?“ „Natürlich nicht.“ entgegnete Walter etwas schroff. „Aber nach der Geburt, wenn das Kind dann da ist, kann es doch gemütlich und ruhig werden. Oder hast Du da auch was zu meckern?“ „Wir halten mal fest, dass ich nicht mecker“, entgegnete Peter, „sondern, dass ich nur die Weihnachtsgeschichte sinngemäß darstelle.“ „Ja, ja, schon gut.“ warf Walter ein und fragte etwas sarkastisch: „Also was stört jetzt die Ruhe und Besinnlichkeit nach der Geburt?“
Mit einem erneuten Grinsen sagte Peter: „Und es waren Hirten in der selben Gegend auf dem Felde. So geht die Weihnachtsgeschichte weiter. Also weißt Du wer stört. Die Hirten. Und was wir oftmals auch nicht bedenken, es kommen nicht ein paar Leute, die gerade nix Anderes zu tun hatten. Die Hirten waren bei der Arbeit, als sie die Nachricht der Geburt erhielten. Auch da wird uns etwas nicht besonders richtig erzählt. Denn wir sehen später an der Krippe Hirten stehen. Wo bitte sind denn ihre Herden? Kein Hirte verlässt seine Herde. Das ist seine Existenz. In der Wahrheit sind die ganz sicher mit ihren Herden zum Stall gezogen. Da standen nicht nur ein paar Hirten herum, sondern ein paar Hirten mit einer Menge Schafe oder Ziegen. Weder die Hirten hatten etwas Ruhiges, Friedliches oder Besinnliches an sich, noch ihre Herden. Da war Stress und Arbeit.“
„Jetzt fehlen in Deiner unweihnachtlichen Erzählung nur noch die drei Weisen aus dem Morgenland und Du hast Weihnachten zerstört.“ Walter war sichtlich geknickt. „Stimmt“, meinte Peter, „aber da gibts auch nicht viel zu sagen. Die haben eine unsinnig weite Reise auf sich genommen, nur weil sie an die Bedeutung von Sternen glaubten. Ähnlich wie heute Horoskope. Dazu haben sie ungeheuer teure bzw. zu damaliger Zeit zumindest wertvolle Geschenke mitgebracht. Und sie mussten dann vor Herodes wieder nach hause fliehen, ohne den gefundenen König aufwachsen zu sehen. Auch nicht gerade friedliche Tage.“
Während Walter ein ziemlich bedröppeltes Gesicht machte, erklärte Peter weiter: „Aber ich habe nicht Weihnachten zertört. Was ich erklären wollte war lediglich, dass unsere Gedanken an Ruhe, Frieden und Besinnlichkeit eigentlich nichts mit der Weihnachtsgeschichte zu tun haben. In der Weihnachtsgeschichte selbst gibt es nur einen Satz, der etwas mit Frieden zu tun hat. Das ist das Lied der Engel bei den Hirten auf dem Feld. Da singen sie: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Das ist ein Wunsch für die Menschen und den Erdkreis.“
„Na, wenigstens etwas“ sagte Walter etwas aufgemuntert.
Peter fügte hinzu: „Du hast vorhin gesagt, dass Du noch keine richtige Weihnachtsstimmung hast. Darum sagte ich, dass wir es vielleicht falsch betrachten. Wenn wir im Stress, in den Aufgaben und im Alltag nach weihnachtlicher Ruhe, nach Frieden und Besinnlichkeit suchen, dann werden wir nicht in Stimmung kommen. Es ist auch nicht in der Weihnachtsgeschichte zu finden.“ „Und was bringt mich dann in Stimmung?“ fragte Walter.
„Weihnachten findet im Herzen statt. Weihnachten ist das Geschenk Gottes an die Menschen, in den Frieden zu kommen, mit sich selbst und mit seiner Umwelt. Wer in sich selbst Frieden findet, der findet auch Ruhe in einer hektischen Welt. Wir müssen nicht irgendeine Besinnlichkeit in Weihnachten finden. Wir müssen uns besinnen, wir müssen den Sinn unseres Lebens (wieder) erkennen. Weihnachen ist das Fest der Familie. Nicht weil es in der Familie so friedlich ist, da sprechen die Streitigkeiten gerade zu Weihnachten sehr dagegen. Nein. Weil Familie uns auf unseren Ursprung zurück holt, auf unsere Wurzeln. Weil wir uns nur von hier aus besinnen, unseren Sinn und Platz in der Welt finden, können. Weihnachten ist Gottes Geschenk an jeden Einzelnen von uns, sich selbst, und sofern gewollt sein Verhältnis zu Gott, neu zu finden.„
„Das hast Du toll erklärt, aber es hat meine Weihnachtsstimmung jetzt noch nicht hergestellt“, sagte Walter. „Stimmung kommt von Stimme“, grinste Peter. „Höre nicht auf meine Stimme, sondern auf Deine Stimme.“ „Na klasse,“ entfuhr es Walter, „jetzt soll ich auch noch Stimmen hören.“ „Ja genau“, Peter musste nun wirklich lachen. Und während sie sich anzogen um zu gehen fügte er hinzu:
„Walter, nicht Weihnachtsgeschichten, Weihnachtslieder, Lebkuchen oder Tannenbäume, nicht Ruhe, Frieden und Besinnlichkeit bringen Dir Weihnachtsstimmung. Genauso wenig wie Dir Corona-Massnahmen, Stress, 2G oder irgendetwas Anderes die Weihnachtsstimmung rauben kann. Weihnachten findet im Herzen statt. Ob Du Weihnachtsstimmung hast oder nicht, entscheidest Du. Nimm Dir die Zeit herauszufinden, was Weihnachten für Dich aus macht. Was sagt Dir Deine innere Stimme? Wer bist Du und was ist Weihnachten in Deinem Leben? Was macht Deine ganz persönliche Weihnachststimmung aus? Und das geht sogar, wenn man ansonsten allein ist. Familie ist auch Erinnerung.“
Fröhliche Weihnachten!