Mut verdient Respekt

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Klaus nahm den sechsjährigen Sven an die Hand und ging seiner Frau Gabi nach, die bereits mit ihrem zweiten Sohn Martin am Gartenzaun stand. Er drehte sich noch einmal um und sah auf das Haus, in dem er mit der ganzen Familie gewohnt hatte. Das Haus, das er jetzt verließ. Für Immer.

Sie hatten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Nächtelang hatten sie nachgedacht, diskutiert und auch geweint. Aber dann war die Entscheidung gefallen. Sie entschieden sich auszuwandern. Für Ihre Kinder sollte es ein besseres Leben geben und das war hier nicht mehr gewährleistet.

Schon lange hatten sie voller Sorge die Entwicklung im Land beobachtet. Politisch wurde es immer instabiler und Parteien standen vor dem Durchbruch, die das ganze Land nachhaltig verändern könnten. Und nicht unbedingt zum Guten.

An eine Arbeit, die die ganze Familie versorgen konnte war schon gar nicht mehr zu denken. Gabi und er hatten schon versucht mit mehreren kleinen Jobs über die Runden zu kommen, doch es reichte vorne und hinten nicht. Eine bessere Zeit war nicht in Sicht.

In den Schulen wurde kaum noch etwas gelehrt. Zu wenig Lehrer, zu viel Stundenausfall, die nötigen Bücher und das Schulessen inzwischen kaum noch bezahlbar. Sollten Ihre Kinder so aufwachsen?

In den letzten Jahren waren auch immer mehr Ausländer ins Land gekommen und die Unruhen und auch Anschläge nahmen zu. Von einem Leben in Sicherheit konnte man gar nicht mehr reden.

Deshalb hatten sie schweren Herzens, aber voller Hoffnung, in den letzten Wochen alles verkauft, was sie hatten. Ihr Ziel war es Kanada zu erreichen und ein völlig neues Leben anzufangen. Ein Leben in dem auch die Kinder eine Zukunft haben sollten.

Die Reise würde beschwerlich sein, das wussten sie. An ein Flugticket für die ganze Familie war gar nicht zu denken. So hatten sie eine Kabine auf einem Containerschiff gebucht. Auch nicht gerade billig, aber sie hatten keine andere Wahl.

Viele in der Nachbarschaft und unter ihren Freunden hatten den Mut bewundert und ihnen alles Gute gewünscht. Andere hatten sie für völlig verrückt gehalten. Vermutlich hatten alle ein wenig recht.

Klaus schloss das Gartentor, nahm seine Gabi in den Arm, lächelte ihr zu und dann gingen sie los. In ein anderes, hoffentlich besseres Leben.

Lieber Leser, liebe Leserin!

Hätten Sie auch den Mut alles liegen zu lassen und loszuziehen? Können Sie die Entscheidung verstehen, wenn man keinen Ausweg mehr sieht, einfach alles hinter sich zu lassen und einen neuen Weg, auch in einem fernen Land, zu suchen?

Haben Sie auch Respekt vor dem Mut, den Klaus und seine Familie zeigen? Ein Mut, der aus der Verzweiflung geboren wurde? Ich vermute, die meisten werden mir zustimmen, dass es vor einem solchen Schritt eine gewisse Hochachtung geben muss. Deshalb erlauben Sie mir eine weitere Frage:

Was ändert sich plötzlich,

wenn die Personen nicht Klaus, Gabi, Sven und Martin heißen, die von Deutschland nach Kanada wollen,

sondern zum Beispiel Ismail, Ayze, Ahmadou und Mohammat, die von Syrien nach Deutschland reisen?

Der Mut, der aus Verzweiflung geboren wird,   ist in jedem Menschen gleich. Er achtet nicht auf Nationalität, Religion, Geschlecht, Hautfarbe oder sexuelle Identität. Er ist absolut. Er lässt keinen Zweifel zu. Und er ist endgültig. Er   verdient unseren Respekt.

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